Anna May Wong – China Doll & Dragon Lady

Aug 01, 15 Anna May Wong – China Doll & Dragon Lady

Anna May Wong (1905 bis 1961), eigentlich Wong Liu Tsong, war der allererste asiatische Hollywood Star. Sie wurde als Nachfahrin chinesischer Einwanderer in Los Angeles geboren.

Für eine Asiatin war sie mit 171 cm ungewöhnlich groß, Hollywood Berühmtheiten der 20er und 30er wie Joan Crawford maßen gerade 165 m und It-Girl Gloria Swanson sogar nur 150 m. Wegen ihrer Modelmaße hatte Wong deshalb Einfluss auf die Mode und sie hatte Geschmack.

So machte das klassische Cheongsam „Mandarin Kleid“ in den 20ern populär, indem sie für einen etwas figurbetonteren Schnitt sorgte. 1934 wurde Anna May Wong von der Mayfair Mannequin Society of New York zur bestangezogenen Frau der Welt erklärt.

Stereotype Dragon Lady & China Doll

In den 1920er und 1930ern war in Hollywood Rassismus an der Tagesordnung. Die Filmindustrie behinderte die Karrieren asiatischer und schwarzer Darsteller massiv und sie wurden deutlich schlechter bezahlt.

Als Asiatin durfte Anna May Wong in Hollywood nur zwei Rollentypen spielen: Dragon Lady und China Doll.

China Doll & Dragon LadyDie Dragon Lady ist eine asiatische femme fatale, also eine besonders verführerische Dame, die allerdings einen zutiefst negativen Charakter hat und höchst gefährlich ist. Sie bildet das weibliche Gegenstück zu asiatischen Verbrechertypen wie z. B. Dr. Fu Manchu.

Im Gegensatz zu diesen schaltet die Dragon Lady ihre männlichen weißen Gegner durch Intrigen, Verrat, Hinterlist und Sabotage aus. Während asiatische Männer in Hollywood-Filmen bis in die 60er meist als impotent, pervers oder asexuell dargestellt werden, sind asiatische Frauen grundsätzlich übersexualisiert.

Die China Doll ist dagegen eine hübsche und besonders unterwürfige asiatische Frau, also ein „Püppchen“ und immer Teil einer unglücklichen Love Story. Die China Doll verliebt sich meist in einen weißer Mann – aus dem einzigen Grund, weil er weiß ist –, der sie dann aber entweder verschmäht oder wieder verlässt, was ihr das Herz bricht. China Dolls sterben im Film praktisch immer. Nach dem Motiv einer China Doll komponierte Giacomo Puccini seine Oper Madam Butterfly (1904). Dieser Oper ist das 1994 uraufgeführte Musical Miss Saigon nachgebildet, das man momentan im Prinz Edward Theatre in London ansehen kann.China Doll & Dragon Lady

Die Festlegung einer asiatischen Schauspielerin auf die Stereotypen Dragon Lady und China Doll wurde in Hollywood strikt durchgesetzt.

So durfte Anna May Wong in Die gute Erde (1937) nicht die weibliche Hauptrolle einer chinesischen Bauersfrau spielen. Dafür wurde allen Ernstes eine weiße Frau asiatisch geschminkt. Die anspruchsvolle Rolle wurde von der deutschen Schauspielerin Luise Rainer übernommen, die dafür einen Oscar gewann.

Dass Asiaten von Nichtasiaten gespielt wurden, war in Hollywood üblich. Als 1915 das erste Mal Madame Butterfly für die Leinwand adaptiert wurde, wurde die Hauptrolle der Cio-Cio-San von ‘America’s Sweetheart’ Mary Pickford (!) gespielt.

Als Schauspielerin

Anna May Wong war eine herausragende Schauspielerin. Typisch für sie waren Ironie und Understatement. Und sie konnte auf Regieanweisung weinen. In den Filmen, in denen sie eine China Doll spielte, kam diese Fähigkeit häufig zum Einsatz.

China Doll & Dragon LadyAuch erweiterte sie die in Hollywood üblichen schauspielerischen Ausdrucksmittel auf Frisuren, Kostüme und Handgesten mit ihren auffällig schönen Händen wie es der chinesischen Darstellungskunst entspricht. Sie stylte sich selbst die Haare und ihre Kostüme stammten aus ihrem eigenen Fundus.

Wong gelang es mit diesen Mitteln, ihrem chinesischen Publikum Ausdrucksnuancen und Hinweise zu bieten, die westlichen Zuschauern weitgehend verborgen blieben. So konnte sie wiederholt ihr zugewiesene Rollen konterkarieren, ohne dass dies Regisseur oder Produktionsstab eines Filmes verstand.

Im britischen Film Picadilly von 1929 stellt sie mit ihrer Rolle der Shosho eigentlich den Typ der Dragon Lady dar. Bei ihrem ersten Auftritt als tanzende Verführerin trägt sie allerdings das Haar im Stil einer chinesischen Landarbeiterin am Hinterkopf hochgesteckt. Die Figur der Shosho wird damit als unschuldige Jungfrau charakterisiert. Das Kostüm mit dem Pagodenschultern und dem hohen Kopfschmuck ist durch thailändische Vorlagen inspiriert und hat außerdem gar nichts chinesisches. Ihre Körperbewegungen beschreiben zudem, wie Wongs Biograf Graham Russell Gao Hodges offengelegt hat, einen traditionellen Tanz der chinesischen Tang-Dynastie, der in keinster Weise erotisch sein soll.

Karriere

Der internationale Durchbruch gelingt Anna May Wong schon 1924 mit ihrer Hauptrolle in Der Dieb von Bagdad. Die exotische Schönheit mit den großen Augen überzeugt nicht nur durch ihr ungewöhnliches Aussehen, sondern auch durch ihr schauspielerisches Talent.

Allerdings hielt sie ihre Arbeitsbedingungen bald für unerträglich, denn interessante Asiatenrollen wurden mit weißen Darstellern besetzt und Asiaten wurden nie positiv dargestellt. Nachdem ihr Film Across to Singapore durch die Zensur entstellt worden war, ging sie 1928 nach Europa. In London stand Wong zunächst mit Laurence Olivier auf der Bühne und ihre nächsten Filme drehte sie mit britischen und deutschen Studios.

China Doll & Dragon Lady

Marlene Dietrich, Anna May Wong, Leni Riefenstahl

In Deutschland war Wong erstmals im Film Shame von 1921 zu sehen und sie wurde hier als großer Hollywood Star empfangen. Wongs Leinwandpräsenz war für die damalige Wahrnehmung von Chinesinnen in Deutschland von großer Bedeutung.

Produzent Richard Eichberg holte sie gleich für drei Filme nach Berlin: In Schmutziges Geld (1928) spielte sie eine Asiatin, die sich in einen Messerwerfer verliebt, der sie mit in den Abgrund zieht. Großstadtschmetterling (1928/29) spielt in der Pariser Bohéme und enthält ebenfalls eine unglückliche Liebesgeschichte.

Der dritte Film Hai Tang – Der Weg zur Schande von 1930 war Wongs erster Tonfilm. Der Film wurde in verschiedenen Sprachversionen gedreht, wobei Wong, die gut Deutsch und Französisch sprach, in allen drei Sprachversionen mitwirkte. Sie spielte in dem Film eine chinesische Sängerin, die einen russischen Offizier liebt.

Obwohl auch die europäischen Filmproduktionen nicht frei von Klischees waren, konnte Wong Charaktere spielen, die nicht zu sterben brauchten. Und gerade Berlin galt um 1930 wegen seines avantgardistischen Kulturlebens und seiner Toleranz gegenüber Minderheiten, die unter anderem viele Homosexuelle anzog, als die modernste Stadt der Welt. Wong fühlte sich in diesem Klima sehr heimisch und bewegte sich in Künstler- und Intellektuellenkreisen.

China Doll & Dragon Lady

Dietrich und Wong in Shanghai Express

1932 folgte der nach Picadilly wichtigste Film ihrer Karriere: Shanghai Express. Josef von Sternberg führte Regie und er verpflichtete natürlich seine Lieblingsschauspielerin Marlene Dietrich für die Hauptrolle der Prostituierten Shanghai Lily.

Anna May Wong hatte nur eine Nebenrolle (ebenfalls als Hure), aber ihr Charakter Hui Fei ist entscheidend für den Film. Die beiden Prostituierten befinden sich auf einer gefährlichen Reise durch China während des Bürgerkriegs, der 1927 begann.

Shanghai Express ist typisch für von Sternberg, ein Film noir mit solch künstlerischem Licht, dass er einen wohlverdienten Oscar gewann.

Gespräch mit Anne May Wong

 

Dragon Lady & China DollEin Interview, das Wong 1928 dem Philosophen Walter Benjamin in Berlin gab, gehört zu den aufschlussreichsten Zeugnissen über die Persönlichkeit der Schauspielerin. Benjamin schrieb dazu den Text „Eine Chinoiserie aus dem alten Westen“. Hier einige Auszüge:

…Wir bildeten, in diesem gastlichen Berliner Haus, eine kleine Gesellschaft, die um den niedrigen Tisch sich versammelt hatte… Erst kam einmal eine Weile lang nichts, und wir hatten Zeit, uns voneinander ein Bild zu machen:

Die menschenerfahrene, lenkende Bewohnerin dieser Zimmer, die uns die letzten Stunden vor ihrer Abreise hatte schenken wollen…ein Romancier, der nachher May Wong gefragt hat, ob sie ihre Rollen vor einem Spiegel einübt, der Zeichner, der May Wong von links und die amerikanische Journalistin, die sie von rechts gezeichnet hat und Annes Schwester, die sie in Europa begleitet.

Die beiden sind ganz allein von Amerika herübergekommen, und als sie auf dem Hamburger Bahnhof standen, blieb ihnen nichts übrig, als aufzuhorchen, in welcher der vielen Gruppen das Wort »Berlin« fiel und der zu folgen. So verlassen waren sie noch.

…May Wong steht, wie man weiß, im Mittelpunkt des großen Films, der jetzt unter Eichbergs ReDragon Lady & China Dollgie gedreht wird. »Aber die Rolle«, sagt sie, »ist vollendet, ist Meine Rolle wie noch keine bisher.« Vollmoeller hat sie eigens für sie geschrieben…

Ihr Weinen ist unter den Kollegen berühmt. Man fährt nach Neubabelsberg heraus, um es zu sehen. Nun errate ich schon, dass ihr ungetrübtes, heiteres Sich geben nicht trügt, und dass, je inniger ihre Vorliebe für das Traurige, desto ausgeglichener und heiterer ihr Alltag ist…

Diesem braven, gesunden Mädchen, das bei allem Charme so ernst und kameradschaftlich blickt, als hätte ihr das Leben schon mehr als ein Geständnis gemacht, merkt man vom Filmstar nichts an. Darum liebt sie es, ihre traurigen Szenen in reifen, gewichtigen Rollen zu haben. »Ich will nicht immer Flappers spielen. Am liebsten Mütter. Schon einmal, mit fünfzehn Jahren, spielte ich eine Mutter. Warum nicht? Es gibt so viele Mütter, die jung sind.« …

May Wong kann sich ihr Dasein ohne den Film nicht mehr denken, und als ich frage: »Nach welchem Ausdrucksmittel würden Sie greifen, wenn Ihnen nicht der Film zur Verfügung wäre?«, ist ihre einzige Antwort »touch wood«, und die ganze Runde hämmert lustig auf unser Tischlein….Sie lacht, das ist alles.

Dragon Lady & China Doll…Ihr Kleid würde sich gar nicht schlecht zu solchem Gartenspiel eignen: dunkelblaues Kostüm, hellblaue Bluse, gelbe Kravatte darüber…. Diese Kleidung hat sie immer getragen, denn sie ist ja nicht in China sondern in Chinatown von Los Angeles geboren. Wenn aber ihre Rollen es mit sich bringen, nimmt sie alte nationale Trachten gern an. Ihr Lieblingskleid ist aus der Hochzeitsjacke ihres Vaters geschnitten, und das trägt sie auch bisweilen im Hause…

Als ihr zum ersten Mal der Vorschlag gemacht wurde zu filmen, kam es ihr komisch vor, sie glaubte nicht recht daran. Natürlich war, was ihr zufiel, nur eine kleine Statistenrolle. Aber wir stellen uns die fieberhafte Erregung vor, mit der sie bei der Erstaufführung sich auf der Leinwand suchte und die grenzenlose Enttäuschung, als es vergeblich war. Sie hatte sich beim Spiel solche Mühe gegeben…

Sie erinnert sich noch heute an das erste Mal, da sie ein Kino betrat. Wegen einer Epidemie war schulfrei…Kaum war sie wieder zu Hause, so probte sie vor dem Spiegel alles, was sie gesehen hatte….Lange blieb sie dem Spiegel treu. Einmal kam die Mutter dazu: ihre Leidenschaft wurde entdeckt, und es endete nicht ohne Schelten.

Jetzt gebraucht sie längst keinen Spiegel mehr. Keinen gläsernen Spiegel und auch den papiernen Zerrspiegel nicht, den ihr die öffentliche Meinung entgegenhält. Freundliche und unfreundliche Kritiken sagen ihr wenig. »Denn«, diese chinDragon Lady & China Dollesische Sentenz stammt von ihr selber, »die Wahrheit hört man, wenn sie bitter ist, nur von Feinden. Ich möchte auch die bittere Wahrheit von Freunden hören.«

»Haben Sie Vorbilder, Lehrer?« »Nein. Es gibt Schauspielerinnen, die ich bewundere, Pauline Frederik zum Beispiel. Aber das einzige Mal, daß ich eine Geste einer anderen absah, geschah das, nach der allgemeinen Überzeugung von Hollywood, an der dümmsten, unbegabtesten Schauspielerin, die wir da hatten.«

Wong scheint sich hier wohl zu fühlen, löst ihr langes Haar und frisiert es zu den »im Wasser sich tummelnden Drachen« (streicht’s in die Stirn). Genau in deren Mitte schneidet es mit einer Schwingung ein wenig tiefer ein und macht ihr das herzförmigste aller Gesichter. Alles was Herz ist scheint sich in dessen Augen zu spiegeln…

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