Knallrote Lippen – Eine Geschichte des Lippenstifts
Dieses Jahr ist der Lippenstift, so wie wir ihn heute kennen, 130 Jahre alt geworden. Als er bei der Weltausstellung in Amsterdam im Jahr 1883 vorgestellt wurde, hat wohl niemand gedacht, das daraus einmal das meist verkaufte Beauty-Produkt der Welt werden würde. Der Pariser Parfumeur und Chemiker Guerlain hatte die Idee, die bis dahin benutzte Pomade im Tiegelchen mit Bienenwachs, Hirschtalg und Rizinusöl anzureichern und zu einem Stift zu formen. Sein etwas sperriger Name war Rhodopis-Serviteur und alsbald auch “Stylo d’amour” oder etwas respektlos “saucisse” (Würstchen), weil er keine Hülse besaß, sondern in Seidenpapier gewickelt war. Im Vergleich zu heute war er mit umgerechnet etwa 50 Euro unglaublich teuer. Die Weltöffentlichkeit war schockiert.
Der Siegeszug des Lippenstifts
Lippenrot gibt es schon zumindest seit den Hochkulturen im Zweistromland. In Mesopotamien wurden Halbedelsteine zerstossen und die Farbstoffe zu Lippenfarbe verarbeitet, was ein wohl eher teures Vergnügen war. Auch in der Blütezeit Alt-Indiens wurde Lippenfarbe allerdings aus unbekannten Zutaten hergestellt.
Die Pharaonin Nefertiti tönte ihre Lippen jedenfalls mit Hennalauge. An der Büste von Nofrete kann man sehen, dass die Ägypter Schminkprofis waren. Von hier wurde das Lippenrot weiter um den Erdball getragen. Bei den Römern und im Mittelalter wurden Extrakte aus Pflanzen und Rotweinsedimente benutzt. Die Erfindung der Lippenpomade ist dagegen dem arabischen Mediziner Abu al-Qasim al-Zahrawi aus Al-Andalus um das Jahr 1000 n.Chr. zuzuschreiben, der die erste Lippenfarbe in fester Form herstellte, in kleine Gussformen presste und so verkaufte.
In der Zeit des Barocks kam das Schminken der Lippen durch Königin Elisabeth I in Mode, die ganz selbstverständlich Lippenrot verwendete. Während die Damen des 16. Jahrhundert ihre Lippen mit einer Schildlaus-Mixtur färbten, benutzte man ab dem 17. Jahrhundert die schon erwähnte Pomade, leicht parfümiert und koloriert mit dunklem Traubensaft und Schminkwurz-Saft.
In späterer Zeit galt Lippenrot als eher sündhaft, war aber für viele Frauen sowieso nicht bezahlbar. Sarah Bernhardt, die berühmte französische Schauspielerin des späten 19. Jahrhundert sorgte für einige Nachahmerinnen, da sich als erste mit einem kirschroten Mund auf die Theaterbühne stellte. Sie mochte Guerlains revolutionäres “Würstchen” und nannte es „Zauberstab des Eros“. Ihr fiel auch ein, sich mit einem Dachshaarbürstchen die Lippen zu schminken, lange bevor der Lippenpinsel eingeführt wurde.
Anfang des 20. Jahrhunderts gab es auch ausgefallene Lippenfarben wie schwarz, vor allem war Vitriolgrün bei den jungen Künstlern am Pariser Montmarte gefragt. Leider starben gleich mehrere Dutzend Frauen nach “grüner Pomadisierung”, was dann zum Verbot des hochgiftigen Grünspanpulvers führte.
Allerdings sorgte erst der Siegeszug des Kinos für den Siegeszug des Lippenstifts und zwar der Umstand, dass die Frauen ihren Hollywood-Idolen nacheifern wollten.Wen es interessiert, hierzu mein Artikel zu den verschiedenen Schminktechniken und Lippenstiftfarben im 20. Jahrhundert.
Lippenstift stand auch für die Unabhängigkeit und Selbstbestimmung von Frauen: Die Sufragetten der Frauenbewegung trugen bei ihrem Marsch durch New York im Jahr 1912 Lippenstift und machten dies zum Symbol ihres Kampfes.
Der ersten Lippenstift in einer Metallhülse wurde im Jahr 1910 wieder von Guerlain verkauft. 1920 bringt Helena Rubinstein ihren “Lip-Lustre” in New York auf den Markt und acht Jahre später den ersten Lippenstift mit Sonnenschutz. Als 1948 dann noch der Schiebemechanismus hinzukam und somit die Handhabung leichter wurde, stieg die Popularität weiter.
Die erste farbliche Kombination von Lippenstift und Nagellack wurde von den Brüdern Joseph und Charles Revlon 1939 kreiert. In Deutschland stellte Walter Friedmann zu dieser Zeit erstmals Lippenstifte unter der Marke SANS SOUCIS her. 1950 verwendet die amerikanische Chemikerin Hazel Bishop erstmals in einem Lippenstift den Inhaltsstoff Lanolin, der aus Schafswolle gewonnen wird. Dieser verhindert, dass der Lippenstift verschmiert. Lanolin kommt auch heute noch in Lippenstiften zum Einsatz.
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